Neuerscheinung: Bürgerkriege erzählen. Zum Verlauf unziviler Konflikte. Herausgegeben von Sabina Ferhadbegović und Brigitte Weiffen
3. Juni 2011
Konstanz: Konstanz University Press, 2011.
Zitation
Der Bürgerkrieg ist nicht einfach als Gegensatz zum Staatenkrieg zu verstehen, und eine Theorie dieser Konfliktform gibt es nicht. Wie Gesellschaften auch unter den Bedingungen des Bürgerkrieges funktionieren, ist kaum erforscht.
Die Herausgeberinnen des Bandes gehen davon aus, dass Bürgerkriege nicht nur die Grundlagen des gesellschaftlichen Zusammenlebens erschüttern, sondern auch als Katalysatoren für neue soziale, politische und kulturell bedingte Zugehörigkeiten wirken. Diesen gegenläufigen Prozessen von Integration und Desintegration widmen sich die Beiträge, indem sie Fragen nach den narrativen Strategien stellen, mit welchen Bürgerkriege legitimiert, erklärt, bewältigt und dargestellt werden. Der historische Bestand erstreckt sich von den römischen Bürgerkriegen über den Amerikanischen und Spanischen Bürgerkrieg bis hin zu den unzivilen Konflikten in Ex-Jugoslawien, Afrika und Irland.
Dabei kommen so unterschiedliche Phänomene in den Blick wie Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und „freiwillige Apartheid“, Legitimation von Gewalt, die Suche nach Wahrheit in Wahrheitskommissionen, das Erinnern, Vergessen und Verbieten von Erzählungen, aber auch Kriegsfotografie und die ambivalente Rolle von Religion. Anhand dieser Aspekte legen die Autorinnen und Autoren dieses Bandes offen, welche Deutungen kulturelle Medien vor, im Verlauf und nach einem Konflikt liefern, welche Rolle sie bei der Sinnproduktion und der Herstellung kultureller und sozialer Identifikation und Differenz einnehmen und wie sie in Konflikte und Machtkonstellationen involviert sind. (Verlag)Der Band bietet eine beeindruckende Synthese aus theoretischer Reflektion und paradigmatischen Fallstudien. Das Unternehmen, mit diesem Band ein neues Forschungsgebiet abzustecken, ist hervorragend geglückt. (Britta Voß, Portal für Politikwissenschaft)
Der vorliegende Band schließt programmatisch an die Auftaktveranstaltung des Exzellenzclusters „Kulturelle Grundlagen von Integration“ im November 2007 an. Jedoch erweiterten die Herausgeberinnen das Konzept um didiziert kulturwissenschaftliche Perspektiven, so dass eine zentrale Fragestellung des Clusters in den Mittelpunkt rückt: „[W]ie kulturelle Sinnmuster einerseits Struktur- und Grenzstabilisierungen bewirken und unter welchen Umständen sie andererseits an Grenzüberschreitungen und Transformationsprozessen beteiligt sind“.
Inhaltsverzeichnis
- Sabina Ferhadbegović, Brigitte Weiffen: Einleitung. Vom Phänomen der Bürgerkriege, S. 9-33
- Albrecht Koschorke: Wie Bürgerkriege erzählt werden. Feldtheoretische Überlegungen zur Konfliktsemantik, S. 35-54
- Ulrich Gotter: Abgeschlagene Hände und herausquellendes Gedärm. Das hässliche Antlitz der römischen Bürgerkriege und seine politischen Kontexte, S. 55-70
- Philip Manow: Bürgerkrieg: Staatenkrieg und die „amerikanische Erfahrung“ bei Thomas Hobbes, S. 71-89
- Stefan Zahlmann: Die unvergessenen Feinde. Deutsch-Amerikaner zwischen Jahrhunderwende und Erstem Weltkrieg, S. 91-112
- Bernd Stiegler: Eingebettete Bilder. Photographie im Amerikanischen und Spanischen Bürgerkrieg, S. 113-152
- Alex Veit, Klaus Schlichte: Gewalt und Erzählung. Zur Legitimierung bewaffneter Gruppen, S. 153-176
- Daniel Šuber: Krieg und Alltag in Serbien. Kulturwissenschaftliche Aspekte zum Verständnis der kriege auf dem Balkan, S. 177-200
- Davor Beganović: Postapokalypse im Land der „guten Bosnier“. Kulturkritik als Quelle des kulturellen Rassismus, S. 201-224
- Alexander De Juan, Andreas Hasenclever: Die Ambivalenz religiöser Integration. Zur erzeugten Relevanz von Glaubensunterschieden in bewaffneten Konflikten, S. 225-248
- Marcel Baumann: Grenzerfahrungen in Zwischenwelten. Ethno-politische Schließung und ethno-kulturelle Separation in prekären Post-Konflikt-Gesellschaften, S. 249-270
- Wolfgang Seibel: Gewollte Unwissenheit. Wenn Friedensorganisationen lernen, Politiker aber nicht, S. 271-288
- Susanne Buckley-Zistel: Narration und Transition. Vom Umgang der Vergangenheit in Wahrheitskommissionen, S. 289-302
- Aleida Assmann: Vergessen oder Erinnern? Wege aus einer gemeinsamen Gewaltgeschichte, S. 303-320
- Ethel Matala de Mazza: Unzivile Kriege. Plädoyer für eine andere Kulturtheorie gealtförmiger Dauerkonflikte, S. 321-344
Dr. Sabina Ferhadbegović ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Imre-Kertész-Kolleg „Europas Osten im 20. Jahrhundert“ an der Friedrich-Schiller-Universität Jena.
Dr. Brigitte Weiffen ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Innenpolitik und Öffentliche Verwaltung der Universität Konstanz.
Beide waren im Exzellenzcluster zuständig für den Programmbereich „Bürgerkriege“.